Eigentlich sollten sich Israels Premier Benjamin Netanjahu und Finanzminister Yair Lapid zusammenraufen. Doch ihr Treffen endet im Eklat. Ihre Koalition ist am Ende, Neuwahlen sind in Sicht.
Spätestens wenn man so über seinen Boss spricht, ist klar, dass man seinen Hut nehmen will. Premier Benjamin Netanjahu handle „ohne jede Rücksicht auf nationale Interessen. Die Bedürfnisse der weiten Öffentlichkeit stehen auf seiner Prioritätenliste an letzter Stelle.“ Diese Worte stammen nicht von Israels Oppositionsführer, sondern von Finanzminister Yair Lapid – Gründer und Vorsitzender der Partei Yesch Atid.
Bis Montagnacht war sie der größte und wichtigste Koalitionspartner Netanjahus. Der sparte nach dem lang erwarteten Treffen mit seinem Schatzmeister ebenfalls nicht an Kritik: Die schlimmste aller Optionen sei es, „eine Regierung aufrechtzuerhalten, deren Politik von ihren eigenen Ministern untergraben wird“, gab der Premier bekannt. Zumindest in einer Sache waren Lapid und Netanjahu sich einig: Die Regierung ist nach knapp zwei Jahren an ihrem Ende angelangt.
Israel steuert schnurstracks auf Neuwahlen zu, die spätestens in fünf Monaten stattfinden müssen – außer Netanjahu gelingt es noch in letzter Sekunde, einen neuen Koalitionspartner zu gewinnen, um Lapids Stimmen zu ersetzen. Doch die meisten Beobachter halten das für unwahrscheinlich.
Widersprüche der Parteien belasteten das Verhältnis
Die Krise bahnte sich seit langer Zeit an, schließlich war die Zusammensetzung der Koalition für Netanjahu nie leicht. Von Anfang an drohten die Widersprüche in den Programmen der fünf Partner das problematische Bündnis zum Platzen zu bringen. Auf der einen Seite lautete das Motto der national-religiösen Partei Jüdisches Heim, dass es nie einen Palästinenserstaat geben dürfe. So forderte sie folgerichtig den massiven Ausbau der Siedlungen.
Andererseits waren die Friedensverhandlungen mit den Palästinensern und die Zwei-Staaten-Lösung der wichtigste Programmpunkt von Justizministerin Tzipi Livni und ihrer „Bewegung“. Zuletzt explodierten die Spannungen rund um ein Gesetz, mit dem Netanjahu Israel zum Nationalstaat des jüdischen Volkes erklären wollte – wohl auch, um seine rechte Wählerschaft kurz vor Vorwahlen zu besänftigen. Die ist sehr von ihm enttäuscht: Auf Druck Livnis und Lapids schränkte Netanjahu bislang den Siedlungsbau ein und entließ zig palästinensische Häftlinge.
Nun drohte die dezidiert säkulare Agenda Yair Lapids, der dafür sorgen will, dass auch ultraorthodoxe Juden Wehrdienst leisten, das historische Bündnis zwischen Netanjahu und den Ultraorthodoxen endgültig zu zerstören. Ohne deren Unterstützung kann der Premier jedoch nicht darauf hoffen, auch Israels nächster Regierung vorzustehen. Und so entschied Netanjahu sich anscheinend, dem langen Leiden ein Ende zu machen und Israels Wähler an die Urnen zu bitten.
Versöhnungstreffen wird zu Kriegserklärung
Das spätnächtliche Treffen mit Lapid im Amt des Premiers in Jerusalem, ursprünglich als versöhnliche Geste beschrieben, mutierte binnen weniger Minuten zu einer offenen Kriegserklärung an Netanjahus charismatischsten Widersacher. Der Premier stellte seinem Finanzminister fünf Ultimaten, von denen jedes allein wahrscheinlich genügt hätte, um Lapid dazu zu bewegen, seinen Hut zu nehmen.
So soll der Schatzmeister unverzüglich der Armee Gelder zur Verfügung stellen und jede Kritik am Bau von Wohneinheiten im umstrittenen Ostjerusalem fortan für sich behalten. Deren Bau hatte zuletzt das Verhältnis zu den USA erheblich beeinträchtigt. Zudem soll Lapid das Nationalstaat-Gesetz Netanjahus kritiklos unterstützen – obschon er gefordert hatte, die Rechte und Gleichheit nicht jüdischer Staatsbürger explizit festzuhalten.
Doch am schwierigsten dürfte Netanjahus Forderung gewesen sein, Lapids Leuchtturmprojekt auf Eis zu legen: Lapid, der in den Wahlen als Verteidiger des israelischen Mittelstands aufgetreten war, wollte kommendes Jahr junge Paare beim Kauf ihrer ersten Wohnung von der Mehrwertsteuer befreien, um so die Wohnungsnot in Israel zu lindern. Ohne diesen Programmpunkt kann Lapid kaum Erfolge vorweisen.
Nur wenige hatten damit gerechnet, dass die Koalition schon jetzt auseinanderbricht, denn eigentlich sollte keiner der Koalitionspartner Wahlen anstreben. Meinungsumfragen sagen fast allen erhebliche Stimmenverluste voraus – allen voran Netanjahu, dessen Beliebtheit mit 38 Prozent einen Tiefpunkt erreicht hat. Doch Lapid – noch vor einem Jahr Hoffnungsträger der Opposition – ist noch unbeliebter. Und dem Oppositionsführer und Vorsitzenden der Arbeiterpartei, Jitzchak Herzog, trauen nur 19 Prozent zu, Netanjahu zu ersetzen.
Bleiben zwei potentielle Nutznießer von Neuwahlen. Der eine ist Naftali Bennett, Netanjahus ehemaliger Bürochef und heute Vorsitzender der Siedlerpartei Jüdisches Heim. Ihm soll der Premier bereits den prestigeträchtigen Posten des Verteidigungsministers versprochen haben. Und der ehemalige Kommunikationsminister Mosche Kahlon, der bereits jetzt als „Wunderkind“ der nächsten Wahlen gehandelt wird. Der Falke wurde dank seiner Reform des Handymarktes einer der beliebtesten Politiker im Land und verabschiedete sich am Höhepunkt seiner Popularität aus Netanjahus Regierung und Partei.
Nun will er mit einer eigenen Partei kandidieren, vielleicht sogar mit der Unterstützung anderer beliebter Funktionäre, die Netanjahus Likud aus Frust über dessen Kurs in den vergangenen Monaten verließen. In der Opposition befürchten deswegen viele, Israel könnte auch nach den nächsten Wahlen kein wirklicher Wandel bevorstehen – sondern nur ein weiterer Ruck nach rechts.
Gruß an den Wandel
TA KI