Zwischen Louis-Claude de Saint-Martin und Novalis auf der einen und Johann Wilhelm Ritter und Franz von Baader auf der anderen Seite besteht nur ein zeitlicher Abstand, kein ideeller. Alle sind sich in ihren Grundideen einig. Darüberhinaus dauerte der sogenannte Illuminismus des 18. Jahrhunderts weit über das erste Kaiserreich hinaus. Einige der bedeutendsten Diskurse über die Imagination seien hier erwähnt, beginnend mit Ritter im frühen 19. Jahrhundert. Ritter, ein Schüler und Freund des Novalis, entdeckte nicht nur den ultravioletten Bereich des Spektrums und eine Reihe physikalischer Gesetze, sondern war auch einer der ersten romantischen Naturphilosophen. 1808 versuchte er, philosophisch nachzuweisen, dass der magische Idealismus des Novalis Wirklichkeit geworden war. Beobachten wir, so schrieb er, einen Zinkball in einer feuchten und ruhigen Hand; wir werden sehen, dass er nach dem Willen des Experimentierenden Bewegungen ausführt, die jenen der Erde um die Sonne entsprechen. Daher, schloss Ritter, ist nun, so wie früher klar war, dass der Organismus des Universums sich im menschlichen Leib spiegelt, bewiesen, dass der Mensch durch bewusste Handlungen fähig ist, diese Korrespondenz sichtbar zu machen: der Ball folgt unserem Willen, wie die Erde der Sonne folgt. In seinem Werk »Der Siderismus« (1808) entwickelte er die Vorstellung, solche Rotationen und Nutationen seien Erscheinungen, durch die sich ein unorganischer Körper in der Gegenwart des Menschen den Anschein des Lebens gebe. Er bezeichnete diese Imitationen der Planetenbewegungen als »prophetische Hieroglyphen« und sah in ihnen einen Versuch der anorganischen Welt, sich selbst auszudrücken. Durch den magischen Idealismus vermag der Mensch also die Natur zu beleben; Körper können durch ihren »Planetismus« auf den Menschen reagieren. Ritter schrieb an Karl von Hardenberg, den Bruder von Novalis, am 1. Februar 1807: »Der Punkt des Archimedes ist gefunden. Wir werden die Erde wirklich in Bewegung versetzen.« Einige Tage später hatte Schelling, der sich für das Experiment interessierte, an Hegel geschrieben: »Dies ist eine wirkliche Magie des Menschen; kein Tier vermag solches zu vollbringen. Der Mensch steht wirklich über allen anderen Wesen, wie eine Sonne, sie sind alle seine Planeten. Und hier nimmt die Physica coelestis oder Uranis ihren Anfang, nach der terrestrischen, die bis heute existierte.«
Manche Werke Schelling lassen uns diesen Enthusiasmus verstehen. Seine »Philosophie der Kunst« ist in der Tat von Boehmes Idee der Imagination als einer Inkarnation der Idee inspiriert, die der Idee sichtbare Gestalt verleiht und so die Synthese des Unendlichen mit der begrenzten Form verwirklicht. Wie auch immer, Schelling hielt weder an der paracelsischen Einbildungskraft, noch an der Imagination Boehmes fest, er gestaltete deren Ideen zur »Kraft der Ineinsbildung, auf welcher alle Schöpfung beruht« fort, zum Gedanken einer gestaltenden Kraft im Einen, die sich in der Schöpfung manifestiert. Die Subjektivität kam bei Paracelsus oder Boehme so gut wie nicht vor; sie kam bei den deutschen Romantikern zusammen mit der Idee des Genius, der Ausdruckskraft, der Originalität zum Vorschein. Für Paracelsus und Boehme bedeutete imaginieren »im Licht der Natur, in einer spezifischen Form der Erfahrung, mit der Fülle der Welt, des Menschen und der Dinge zu korrespondieren.« Die Magie war weniger das Ergebnis bewusster Absichten, als die Folge einer natürlichen Harmonie, eines natürlichen Vorgangs. Erstaunlicherweise hielt ausgerechnet Fichte, der von Magie in diesem Sinn denkbar weit entfernt war, nicht nur an Boehmes Idee einer Willenskraft fest, die durch die Erfahrung von Widerstand ein Bewusstsein ihrer selbst erlangt, sondern auch an der schöpferischen Imagination, welche die wahrnehmbare Welt hervorbringt und den reinen Geist in »Formen und Farben« verwandelt. Aus diesem Grund glaubte auch Novalis, er habe in Fichtes Lehre von der Imagination den Schlüssel zu einer vergessenen Idee entdeckt, die er bei Boehme und Paracelsus wiederfand, auch wenn der Abdruck, den Kant in Fichte hinterlassen hatte, zu stark war, als dass er in diesem einen genuinen Fortführer Boehmes zu sehen vermochte. Wenn die empirische Realität nach Fichte nur das Erzeugnis einer geradezu allmächtigen Imaginationskraft des Ich ist, dann gibt es keine Magie mehr, weil alles Magie ist. Einzelne magische Akte im herkömmlichen Sinn gibt es dann nicht mehr. Der außerordentliche Anspruch einer Imagination, welche die gesamte wahrnehmbare Welt ins Dasein ruft, die weniger hypothetisch formuliert und konkreter verteidigt wurde als bei Berkeley, in Verbindung mit der intensiven Aktivität dieses Denkens, das durch Schelling weitergeführt wurde, der immer wieder zu Fichte zurückkehrte: all dies trug zur unvergleichlichen geistigen Atmosphäre der Jenaer Romantik bei. Denn wenn man mit der Wissenschaftslehre (1794) akzeptiert, dass die Objekte nicht mehr von sich selbst her bestimmt sind, sondern vom Subjekt erst ihre Bestimmung erhalten, dann wird das gesamte Universum spirituell und die Realität zum Welt-Spiegel des Bewusstseins. Allerdings leidet diese Theorie aus der Sicht des Novalis oder Baaders an ihrer unheilbaren Abstraktheit, was schon der Stil des Fichteschen Denkens deutlich macht – es gibt in Fichtes Philosophie zu viel Geist und zu wenig Inkarnation. Schelling stellte die Realität der äußeren Welt wieder her, indem er den Monolog des Fichteschen Ich in einen Dialog des Ich mit den »objektiven« Stufen des Bewusstseins umwandelte, die den unterschiedlichen, aufeinanderfolgenden Formen der Natur entsprechen. Aber Baader konnte sagen, in Schellings Philosophie gebe es zu viel Naturalismus. In der Tat sollte Baader dieses Problem theosophisch lösen, indem er auf die christliche Hermetik zurückgriff, deren Hauptvertreter – neben seinem geliebten Saint-Martin –Paracelsus und Boehme waren.
Baader spricht in verstreuten Texten immer wieder von der menschlichen Imagination. Man kann diese Reflexionen kaum von seinen Überlegungen zur schöpferischen Imagination im allgemeinen trennen. Paracelsus und Boehme folgend unterscheidet er eine kraftlose, unfruchtbare Imagination von einer »schöpferischen Einbildung«, die innerhalb und außerhalb des Subjektes wahrhaft produktiv ist. Vor allem bietet Baader eine genuine Theorie der Imagination. Zunächst unterscheidet er eine zweifache Imagination in der Natur und im Menschen: die aktive und die reaktive. Im Menschen gibt es ein aktives Begehren und die Nostalgie (Sehnen, Sucht, Sehnsucht), außerhalb des Menschen die siderische Imagination (aktiv) und die Imagination der elementarischen Welt (reaktiv). Ebenso kann man strahlendes Licht von phosphoreszierendem unterscheiden, die Sonne vom Mond, die Nerven von den Ganglien. Baader wundert sich, dass die Naturphilosophen seiner Zeit, die überall nach Polaritäten suchten, sich mit diesen nicht befassen. Als Beispiel führt er einen Maler an, der einen Löwen malt, was ihm in der Regel auch gelingt. Dies ist deswegen der Fall, so Baader, weil die seelisch-plastische Natur (aktiv), die Urheberin der wirklichen Löwen, ihr Werk fortsetzt, diesmal in der Imagination des Malers (reaktiv). »Es ist ein und dieselbe Natur, welche die natürlichen Formen des Löwen und diesen Tiertypus in der Imagination des Menschen erzeugt.« Daher gibt es in der Natur selbst eine aktive und kreative Imagination, die Wurzel und den Anfang aller Produktivität, »primus motor creans«.
Wie aber wirken diese beiden Arten von Imagination zusammen? Hier kommt die Baadersche Symbolik des Spiegels ins Spiel. Damit es irgendwo Schöpfung geben kann, müssen zwei Elemente (ein aktives und ein reaktives) zusammenwirken, so wie bei Hunger und Ernährung, dem Begehren von Mann und Frau – oder auf der Ebene des Göttlichen – der ewige Vater und die Sophia. Aus deren Verbindung entsteht etwas Gezeugtes: das Kind, ein Abkömmling, oder im Falle des Hungers, die positive Wirkung der Nahrung auf den Körper. Nun kommt aber diese Verbindung nur zustande, wenn die aktive Imagination ihre Macht manifestiert, das heißt, wenn »der Wille in seinen Spiegel eintritt«. Mein Begehren muss sich in das begehrte Objekt projizieren, sich in diesem spiegeln; dann erst sieht mich das Objekt, dank meines Blickens wird es zu einem lebendigen Bild, das sich in mir sieht und erlebt. Bei der Beschreibung dieses Prozesses entwickelt Baader seinen Begriff der Magie, denn er bringt durch Paronomasie folgende Wortreihe in Beziehung: miroir, admirer, miracle, imagination, magnet, magie, mag, vermag (lieben, können). Alles, was existiert, hat einen magischen Ursprung und stammt aus der Imagination, das heißt, aus dem Eintritt der Imagination in ihren Spiegel.
An vielen Stellen seines Werkes erläutert Baader, was er unter »Spiegel« und »Spiegelung« versteht. Ein Spiegel befindet sich potentiell im Besitz aller möglichen Formen. Ein Bild wird in ihm reflektiert: es ist die Begierde, die dieses Bild erzeugt, ihm Substanz verleiht, es wesentlich macht. Unser Auge, das ebenfalls ein Spiegel ist, trägt alle möglichen Formen in sich. Die körperliche Form, die sich in ihm reflektiert, zeugt eine innere Form in ihm, Magie, die ihrerseits, wenn ein Begehren mitspielt, und es sich nicht bloß um eine Gesichtswahrnehmung handelt, das wahrgenommene Objekt erzeugt. Auf diese Weise werden sich das Bild des Objektes, das sich ursprünglich außerhalb meiner befindet und die innere Form, die das Bild in mir gezeugt hat, in einem wechselseitigen Erzeugen hervorbringen. Was Baader als »Imagination« bezeichnet, ist also ein Vorgang wechselseitiger Zeugung, eine magische Gestaltung, die nach ihrer eigenen Verwirklichung strebt, sobald dieses Begehren eine Vermittlung findet, durch welche die magische Form von der Möglichkeit zur Wirklichkeit übergeht. Tatsächlich ist die gesamte Realität ein Ergebnis dieser Imagination, einer wechselseitigen Befruchtung, welche die Trennung zwischen Subjekt und Objekt aufhebt. Die Imagination ist der Eintritt des Willens in den Spiegel: sobald dies geschieht, tritt auf der Ebene des Göttlichen in Erscheinung, was die Hebräer »Sophia« nennen, die Hindus »Maja« und die Griechen »Idee«, die derselben Vorstellung der Reflexion (»Spiegelung; speculatio«) entsprechen. Boehme sagte, Gott »imaginiere« in der Sophia. Auf der Ebene des Menschen bin ich ebenfalls ein Spiegel, in den Gott hineinblickt, und durch den zugleich die schattenhafte Welt mich begehrt. Ich kann dem Blick, der Imagination Gottes, antworten, aber auch den Mächten des Schattens. Indem wir die Glorie Gottes kontemplieren – imaginieren – der uns anblickt, werden wir in ihn verwandelt. Denn in etwas zu imaginieren oder seinen Willen, sein Begehren zu projizieren, bedeutet, sich dem zu übergeben, in das man eintritt. Man formt sich selbst zum Bilde dessen, in das man hineinblicken kann, was man lieben kann, das Liebe und Zeugung erst ermöglicht. Die »gestaltende Kraft« der Imagination wirkt so nicht nur auf die äußere Welt, um sie zu formen oder umzuformen, sie verändert auch uns selbst auf magische Weise.
Eine solche Idee des schöpferischen Bildes führt natürlich auf der kosmischen Ebene zu bedeutenden Konsequenzen. Baader schließt sich der Idee Boehmes an, nach der kraft des »Gesetzes der Reflektion« zwei Wesen einander erkennen und etwas neues durch dieses wechselseitige Erkennen erzeugen können, wenn sie beide in einen Spiegel »eintreten«, der über ihnen steht, der sie überragt, einen dritten Spiegel also, der zu den beiden hinzukommt, von dem sie beide abhängen. Stets darauf bedacht, Hierarchien ins Spiel zu bringen, postuliert er eine solche zwischen den beiden ersten Entitäten. So muss der Mensch vor dem Fall der leibhaftige Träger des Bildes Gottes gewesen sein, sein Spiegel, damit er der gesamten Natur das Licht weitergeben konnte, das er empfing. Die Natur war also der Spiegel des Menschen; während sie auch der Spiegel Gottes war, bedurfte sie des Spiegels des Menschen. Adam vor dem Sündenfall trat in diese Natur ein, gesellte sich zu all den Geschöpfen, die ihm unterstanden, um sich in ihnen wie in einem Spiegel zu sehen, indem er seinen Willen in sie projizierte. Diese aktive Projektion ist ein »Fiat«, das die wahrgenommene Form aus ihrem »daedalischen« Zustand befreit, ihr eine Bedeutung einprägt, eine Richtung, eine innere Sinnbestimmung. Daher musste des Menschen passive oder reaktive Imagination gegenüber Gott seiner aktiven Imagination gegenüber der Natur entsprechen, worin die Grundlage seiner magischen Kraft bestand. Adams Aufgabe war es, als Vermittler zwischen Gott und der geschaffenen Natur zu dienen, aber ebenso als Gefängnis für die Dämonen. Der Mensch fiel, bewahrte aber, zumindest potentiell, einen Teil seiner Macht und die Natur harrt noch immer, wie Paulus sagt, sehnsüchtig ihrer Erlösung durch den Menschen.
So verläuft die Imagination, die Baader auch als »Inbildung«, »Einbildung als Hineinbildung« bezeichnet. Die Vorsilben »In, Ein, Hinein« erlauben es ihm, Imagination und Information, »Ein-bildung« und »In-bildung« als Synonyme zu behandeln, denn beide enthalten die Idee des »Hineinformens«. Und dieser Prozess findet sich sowohl bei denkenden als auch nicht-denkenden Kreaturen statt, denn alle besitzen ihr »imaginativum«, die »imaginierende Begierde« existiert überall, nicht nur in Gott, im Menschen oder im Tier, die gesamte Natur ist nichts anderes als »Imaginieren« und »Begehren«. Zum Beispiel erzeugt die Verbindung des »imaginierenden Bildungstriebs« eines Sternes mit dem der Erde eine spirituelle Substanz, eine »idea formatrix« (eine bildekräftige Idee), welche die Elemente der Erde zu ändern vermag. Baader sieht die Wirkungen dieser schöpferischen, plastischen Gestaltungskraft, dieser Imagination, in Talismanen, da sie die Signatur des Geistes einschließen und enthalten, dessen organischer Leib sie sind. Magische Objekte im heutigen Sinn des Wortes sind das Ergebnis dieser Gestaltungskraft. Zu imaginieren heißt, »durch das Bild zu wirken«.
Ein jedes Wesen birgt in sich das Bild dessen, was ihm übergeordnet ist; dank dieses Bildes beherrscht das letztere das erstere wie sein Organ oder einen Namensträger. Die Abhängigkeit entsteht durch eine »Inbildung« des Höheren im Niedrigeren. Wenn das Höhere vom Niedrigeren abhängt, hat man es mit einer abnormen Inbildung zu tun, einer zwar monströsen, aber nichtsdestoweniger lebendigen Form, einer spirituellen Substanz, die nicht notwendig intelligent ist, einer Form, die Paracelsus und nach ihm Boehme als »evestrum« bezeichneten und die uns nach dem Tode quält, indem sie uns vom Reich des Lichtes fernhält; darin besteht die Wirkung einer verdorbenen Imagination. In Wahrheit schuf der Fall Adams ein gigantisches »evestrum«, dessen Züge unsere gegenwärtige Daseinsform trägt. Es ist immer möglich, eine solche spirituelle Substanz in einer tieferen Region durch die Imagination zu erzeugen, so wie das Kind eines edlen Vaters und einer gemeinen Mutter immer edler als die Mutter und weniger edel als der Vater sein wird. So sollte der Mensch auf diese königlichste all seiner Fähigkeiten Acht geben, denn es ist leichter, die magische Hochzeit zu vermeiden, die ein solches »evestrum« zeugt, als dieses zu töten, wenn es einmal geboren ist, so wie es schwerer ist, ein Kind loszuwerden, als eine Abtreibung durchzuführen.
Seit Saint-Martin gab es niemanden, der bemerkenswertere esoterische Ansichten über die Imagination entwickelt hätte, als Baader. Doch in der romantischen Literatur Deutschlands finden sich viele weitere Beispiele für die magische Imagination. In Achim von Arnims fantastischer Erzählung »Isabella von Ägypten« unterhalten sich Isabella und Barka über die Geschichte des Bärenhäuters, eine Figur der Volksüberlieferung. Daraufhin erscheint ihnen der Bärenhäuter und begleitet sie durch die ganze weitere Geschichte. In E.T.A. Hoffmanns Novelle »Der unheimliche Gast«, spricht der Autor von einer Seelenkraft, die mächtig genug ist, um das Opfer ein Netz aus Feuer zu weben. Aber in der Naturphilosophie dieser Zeit spielt die »vis imaginativa« nur eine untergeordnete Rolle mit Ausnahme von Ritter, Novalis und Baader. Gotthilf Heinrich Schubert ist in dieser Hinsicht enttäuschend, auch wenn seiner Ansicht nach die menschliche Imagination derjenigen Gottes verwandt ist und diese Verwandtschaft die »schöpferische« von der bloß »reproduktiven« unterscheidet, welch letztere sich allein auf das Irdische oder Körperliche bezieht. Carl August Eschenmayer ermahnt seine Leser, Fantasie und Einbildungskraft nicht zu verwechseln, während sein Schüler Philipp Heinrich Werner eine schöne Definition der schöpferischen Imagination liefert: »Die Phantasie, innig verwandt mit dem höheren Gefühl, könnte man die Sprache desselben nennen. Sie ist das Vermögen der Ideale, der Symbolisierung der Tätigkeiten des Geistes, der diese durch sie im Bilde immer als vollendetes Ganzes, nicht als verständig zusammengeklaubtes Aggregat der Seele vorhält.« (In: »Die Schutzgeister oder merkwürdige Blicke zweier Seherinnen in die Geisterwelt …«, 1839). Insgesamt bezeichnen diese Autoren die Imagination als »Phantasie« und behalten den Ausdruck »Einbildungskraft« der nicht kreativen Fähigkeit vor. Joseph Ennemoser entwickelte seine eigene Idee des schöpferischen Bildes, indem er Magnet, magia und imago miteinander verknüpfte. In seiner Geschichte der Magie betrachtete er den Menschen als Schöpfer, weil er Gott durch seine Imagination nachahme. Er schrieb: »Das magische Wirken auf Andere und in die Ferne ist der active Pol der Seele und Lebenskraft, wie das instinctive Gewahrwerden in der Sinnesanschauung der passive Pol derselben ist. Jenes ist nicht wunderbarer als dieses, und wie die dunkel empfindende Seele zum Vorstellen und Denken kommt in einer ungemessenen Sphäre, in welche Sinnliches – Natürliches und Übersinnliches – Übernatürliches hereinscheint: so wirkt die autonome Kraft in dieselbe Sphäre, von dem mechanisch Materiellen entbunden, ebenso dunkel bewusst hinaus, wie sie auf die nächste Muskelfieber und auf die Bewegungsglieder wirkt.«
Aber Ennemoser glaubte nicht, dass die Imagination imstande sei, äußere Objekte ohne das Hinzutreten eines vermittelnden Agens hervorzubringen. Catherine Crowe dagegen besann sich wieder auf die mythische Grundlage der Imagination als schöpferischer Kraft. In einem voluminösen Werk mit dem Titel »Die Nachtseite der Seele oder Geister und Geisterseher« (1848), für das sich Baudelaire brennend interessierte, schöpfte sie aus einer Vielzahl romantischer Autoren, um die Verheißungen ihres Schubertianischen Titels einzulösen. Natürlich erschöpft die magische Funktion des Bildes nicht das Anliegen der Autorin. Hier seien nur jene Passagen zitiert, die hier von Interesse sind; 1856 schrieb Baudelaire eine von ihnen ab: »Unter ›Imagination‹ verstehe ich nicht, was man für gewöhnlich unter diesem so häufig missbrauchten Wort versteht, nämlich bloße ›Erfindung‹, vielmehr verstehe ich darunter die ›konstruktive Imagination‹, eine weit höhere Funktion, welche, insofern der Mensch als Bild Gottes geschaffen wurde, eine gewisse Beziehung zu jener erhabenen Macht in sich trägt, durch die der Schöpfer entwirft, schafft und das Universum im Dasein erhält.«
In einer Passage, die unter dem Einfluss von Kerners Erzählungen über die Seherin von Prevorst steht, spricht Crowe von dieser »Kraft, ob sie nun eine sichtbare ätherische Form hervorruft, oder auf die konstruktive Imagination der Seherin einwirkt, was das Erscheinen eines Geistes in der ›Gestalt, die er im Leben besaß‹ ermöglichen würde«. Hier handelt es sich um eine eher passive Imagination, die aber jedenfalls magisch empfänglich ist. Wir sind teils Geist, teils Stoff, sagt sie weiter, durch den Geist mit der geistigen Welt und dem absoluten Geist verbunden; und »da niemand daran zweifelt, dass der letztere magisch zu wirken vermag, das heißt, allein durch die Kraft seines Willens« – wurde nicht alles durch ihn geschaffen, liegt es nicht an seiner »andauernden Wirksamkeit«, dass alles fortbesteht? – warum sollten wir, »die an der göttlichen Natur teilhaben und nach seinem Bilde geschaffen wurden«, darüber erstaunt sein, »wenn wir auch, innerhalb bestimmter Grenzen, an seiner magischen Kraft teilhaben?« Zu den unvermeidlichen Anspielungen auf die »Signaturen im Fötus« fügt sie hinzu, wenn der Geist einer Mutter auf einen anderen Organismus einwirken könne, dann gebe es keinen Grund, warum nicht auch Heilige oder Katharina von Emmerich auf ähnliche Weise wirken könnten. »Selbst durch die Kraft der Imagination können Menschen Dinge heraufbeschwören; ja sogar andere Menschen töten.« Ja, wenn zwischen allen Dingen in der Natur eine »unablässige Wechselwirkung besteht, warum sollten wir, als Teile eines großen Ganzen«, die Kräfte, die auf unseren Organismus einwirken, nicht auch auf andere ausdehnen? Unsere Fähigkeiten, »so begrenzt sie auch sein mögen, … sind der Art nach göttlich und liegen in allen von uns«; hier und dort zeigen sie sich, »um die Weisen in Staunen zu versetzen und die Toren zu narren, die nahezu alle ihren Ursprung vergessen und ihr Geburtsrecht verwirkt haben.«
Diese Passagen sind insofern von Bedeutung, als das Buch weit verbreitet war und viele beeinflusste, nicht nur Baudelaire, der in der Imagination eine »nahezu göttliche Fähigkeit« sah. Er schrieb: »Ich möchte die Dinge mit meinem Geist erleuchten und seine Spiegelung in andere Geister werfen«, und bezeugte dadurch seine Empfänglichkeit für die transzendente Seite der Imagination, die für ihn nicht bloß eine irdische Fähigkeit war. »Wenn man keine Seele besitzt«, so Baudelaire, »die ein magisches und übernatürliches Licht auf die natürliche Dunkelheit der Dinge wirft, dann ist die Phantasie auf schreckliche Weise nutzlos.« Der Dichter erkennt, dass universelle mythische Bilder »aus dem heiligen Zentrum primordialen Lichts hervorgetreten sind« und an der schöpferischen Imagination teilhaben, »dieser zentralen Fähigkeit (ruft ihr Reichtum nicht die Erinnerung an Purpur wach?).« Baudelaire spricht nicht anders über diese ursprüngliche Imagination als die Theosophen: zuerst explodiert die ursprüngliche imaginative Kraft, dann zieht sie sich zusammen und steigt auf den Stufen der Stofflichkeit, die sie erleuchtet, beseelt und umwandelt, auf und ab. Und dank des imaginierenden Begehrens wird die gefallene Schöpfung vorübergehend geheilt und kennt die Natur keine andere Sonne mehr, als das Auge des Dichters, »das von Feuer überfließt.«
Die etwas lehrhaftere Poesie seines Zeitgenossen Éliphas Lévi ist Bestandteil eines chaotischen Gesamtwerks, das ehrgeizig, aber dennoch liebenswert ist. In den »Magnetischen Mysterien«, dem wichtigsten Kapitel des »Schlüssels zu den großen Mysterien« (1860) bemühte sich der Vater des modernen Okkultismus darum, den Begriff des »gestaltenden Vermittlers« zu popularisieren, den er im Anschluss an Paracelsus als »Astralleib« bezeichnet. Er ist eine Art Magnet, der unter dem Einfluss des Willens Licht anzieht oder abstößt: »Er ist ein Lichtleib, der die den Ideen entsprechenden Formen mit größter Leichtigkeit reproduziert« – vor allem ist er »der Spiegel der Seele«. Wie die Seele ist er ein Bild unseres Körpers und vermag seine Wahrnehmungen an unser Nervensystem weiterleiten; »die Imagination scheint dann über die Natur zu triumphieren und ruft wirklich seltsame Erscheinungen hervor.« Der große gestaltende Vermittler ist Licht. Eine Vielzahl von Wundern vollzieht sich durch ein einziges Agens, das von den Hebräern als »Od« bezeichnet wird und dessen Beziehung zu seinem Vermittler Lévi nicht näher definiert, jedenfalls »empfängt und leitet es die Eindrücke der Imaginationsfähigkeit weiter, nämlich das Bild und Gleichnis des schöpferischen Wortes im Menschen.« So ist das »universelle Licht wie die göttliche Imagination … Der Mensch erzeugt durch seine Imagination Licht und der menschliche Gedanke schafft das, was er imaginiert; die Geister des Aberglaubens projizieren ihre unförmigen Gestalten in das Astrallicht und erleben die Schrecken, die sie hervorbrachten.« Mehr noch: »Unser Wille wirkt direkt auf unseren gestaltenden Vermittler ein, das heißt, auf den Teil des Astrallichts, der in uns abgesondert ist und uns zur Angleichung und Bildung der zu unserem Dasein notwendigen Elemente dient. Unser gerechter oder ungerechter, harmonischer oder perverser Wille prägt den Vermittler nach seinem Bild und gibt ihm die unseren Neigungen entsprechende Form.«
Denn dieser astrale Mittler, der »wahre innere Architekt unseres Körpers« vergrößert den Bauch und die Kiefer des Schlemmers, lässt die Lippen des Geizigen schmal werden, macht die Blicke der unreinen Frauen schamlos – und so weiter. »Wenn man Phantome erzeugt, dann setzt man Vampire in die Welt und man wird diese Kinder eines selbstgewollten Albtraums mit seinem Blut, seinem Leben, seinem Verstand und seinem Geist ernähren, ohne sie jemals sättigen zu können.«
In ihrer »Entschleierten Isis« (1877) zitierte Helena Petrowna Blavatsky Éliphas Lévi und Catherine Crowe zum Thema magische Imagination und versäumte ebensowenig wie diese, eine Parallele zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer herzustellen: »Aus welcher Sicht auch immer wir die Frage nach dem Stoff untersuchen: die uralte Philosophie, dass sie von der ewigen Idee oder der Imagination belebt und befruchtet wurde – wobei das Abstrakte das Modell für die konkrete Form entwarf und vorbereitete – diese Philosophie ist unausweichlich … So wie der Schöpfer die chaotische Masse des leblosen untätigen Stoffes aufbrach und ihn in Form brachte, kann auch der Mensch – bis zu einem gewissen Grade zumindest – verfahren, wenn er seine Kräfte kennt.«
Ebenfalls 1877 veröffentlichte Jakob Frohschammer, ein Professor in München, ein Buch von etwas anderem Charakter. In abstrakter Sprache geschrieben, frei von irgendwelchen Zugeständnissen an Leser mit einem Bedürfnis nach Anekdoten, ist es dennoch als das zu erkennen, was es ist: eine intellektualisierte Form von Theosophie – im klassischen Sinn dieses Wortes – die sich nicht als solche ausgibt. Schon der Titel des Buches ist vielsagend: »Die Phantasie als Grundprinzip des Weltprozesses«. Frohschammer betrachtet die Imagination als »objektiv« im organischen Leben, als »Prinzip der teleologisch-plastischen Bildung«. Dieses Werk ist einer der wichtigsten Versuche, die Imagination zu rehabilitieren, seit der Rationalismus die moderne Philosophie bestimmt. Frohschammer sprach nicht explizit davon, dass der Mensch über eine Imagination mit magischen Wirkungsmöglichkeiten verfügt, aber für ihn ist der gesamte Weltprozess ein einziger Magismus, die Ursache und das Resultat einer Imagination, die als Wurzel und Ursprung aller Dinge verstanden wird und in enger Beziehung zur Weltseele steht, wie die Stoiker sie gedacht haben.
Man mag sich fragen, ob die surrealistische Idee der Imagination etwas mit der vis imaginativa zu tun hat. André Breton erklärte im »Weißharigen Revolver«, dass »die Imagination dazu tendiert, real zu werden«, denn analogieförmige Bilder erlauben uns, die »zerbrochenen ursprünglichen Kontakte« wiederherzustellen und den Fluss in den kommunizierenden Röhren wieder in Gang zu bringen. Aber während der Surrealismus versuchte, Traumsymbole, die aus dem Unbewussten aufsteigen, mit mythischem Denken zu verbinden, waren die meisten Autoren, die an das schöpferische Bild glaubten, einem anderen Mythos verbunden – dem christlichen nämlich, theosophisch gelebt und gedacht – , und unterschieden zwei Arten von Imagination: die wahre, schöpferische in einem vornehmen Sinn, die Werke hervorbringt, aber auch auf magische Weise Gegenstände erzeugen kann, und die falsche, die nicht authentische und sterile, die manchmal imstande ist, konkrete, reale Monster zu erzeugen.
Am Ende dieses chronologischen Überblicks ein Hinweis auf literarische Deutungen. Der ausgezeichnete Sciencefiction-Roman »Solaris« (1961) des Polen Stanislaw Lem wurde kurz nach seinem Erscheinen verfilmt. Astronauten auf einem entfernten Stern namens Solaris, der weitgehend aus gasförmigen und flüssigen Substanzen bestand, waren überrascht, als sie entdeckten, dass dieser nach ihrer Ankunft Wesen von menschlicher Form zu emanieren begann, die alle perfekt den Wünschen der Astronauten entsprachen. Der Stern schuf den unbewussten Wünschen der Astronauten entsprechend Traumfrauen oder vielmehr, jeder Mann erzeugte die betreffende Kreatur durch seine Imagination, die auf dem Stern eine Substanz vorfand, die für die Inkarnation der Bilder, die sie erzeugt, geeignet war. Könnte man sich eine bessere Illustration des plastischen Mittlers vorstellen, dessen sich die vis imaginativa bedient? Der Stern Solaris ist in der Tat ein solcher, ein gigantischer, sichtbarer Mittler, (dessen Funktionsweise mysteriös bleibt), mit dessen Hilfe unsere Bilder und Wünsche in Formen, Substanzen und Farben Gestalt annehmen, »sich in Erde verwandeln«, wie es auf der »Smaragdenen Tafel« heißt (»Et vix ejus integra est, si conversa fuerit in terram«). Interessant auch die psychologischen Konsequenzen, die der Roman aus dieser Magie in Aktion zieht: da die Erdlinge unfähig sind, mit diesen zugleich imaginären und realen Kreaturen auf Dauer zusammenzuleben und sie nicht als Geschenk der Natur annehmen können, zerstören sie diese am Ende.
Die vis imaginativa, ein bestimmter Aspekt der schöpferischen Imagination, wurzelt oft in einem Konzept des Göttlichen und Menschlichen, das beiden imaginative Macht zuspricht. Solche Konzepte stammen aus einer Tradition, die dem Neuplatonismus näher steht als dem Platonismus und mit der antiken Theorie der Korrespondenzen verbunden ist, die nicht als statische, sondern dynamische Beziehungen aufgefasst werden, wobei das Einzelwesen als Lautsprecher – als Resonanzboden – oder als magischer Vermittler agiert. Während uns phänomenologische Analysen daran gewöhnt haben, von der Imagination als etwas zu sprechen, was mit menschlichen Absichten zu tun hat, geht es bei Paracelsus, Boehme, Baader oder Frohschammer gerade nicht um die Absichten des Subjektes, das danach strebt, sich von der Welt zu lösen, seinen Geist von der Welt der Sinne abzuwenden, um dann originäre Bilder aus sich zu erzeugen. Vielmehr geht es bei diesen Autoren um den Versuch, der Fülle der Welt, des Menschseins und der Natur auf konkrete Art zu entsprechen, sich in ein Netzwerk lebendiger intersubjektiver Beziehungen einzufügen. Daher auch die Betonung des Inkarnationsprozesses in dieser Tradition, einer Tradition, die nicht zuletzt aus dem Gedanken gespeist wird, dass der Mensch als Bild Gottes geschaffen wurde und da Gott selbst Imagination ist und der Mensch etwas vom Schöpfer in sich trägt, auch er mit magischen Fähigkeiten begabt ist. Die behandelten Texte scheinen der Vergangenheit anzugehören und nur noch von historischem Interesse zu sein, sie können aber auch als Herausforderung einer Epoche betrachtet werden, die von formalen und abstrakten Diskursen beherrscht ist, die von unserer Exkarnation zeugen. An dieser zu zweifeln, könnte dazu anregen, neu über die Funktion dessen nachzudenken, was der Apostel Paulus dem Menschen zuzuerkennen schien (Röm, 8,19-22), einem Wesen, das nicht nur geschaffen ist, sondern selbst schöpferische Fähigkeiten besitzt, dem es bestimmt ist, die Natur umzuwandeln, die sehnsüchtig ihres Erlösers harrt. Angesichts der Fragwürdigkeit vieler Aspekte der heutigen Wissenschaften, der unüberbrückbaren epistemologischen Gräben in vielen Bereichen der Erkenntnis sowie des Wandels, dem unser Bild des Menschen unterworfen ist, könnte man versucht sein, die Verse Grillparzers aus seinem Trauerspiel »Die Jüdin von Toledo« trotz ihres Alters als Beschreibung unserer Gegenwart zu lesen:
»Umgeben sind wir rings von Zaubereien,
Allein wir selber sind die Zauberer …
Und in der Welt, voll offenbarer Wunder
Sind wir das größte Wunder selbst.«