Der holprige Erklärungsversuch des Feuilletonredakteurs Matthias Heine: Ich bin Nichtwähler, aber kein Idiot


In Deutschland gibt es keine Wahlpflicht, was also soll die Verteufelung all jener, die nicht zur Wahlurne gehen? Es sind Demokraten wie du und ich. Sie kommen nur manchmal zu anderen Schlüssen.

matthias heine

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Am 27. September 2009 habe ich schwer gesündigt. Es geschah am helllichten Tag im milden Sonnenschein eines Spätsommertages und obendrein auch noch direkt vor einer Schule. In deren grauen Mauern befand sich mein Wahllokal, und ich bin draußen einfach wieder umgedreht. Es war das Finale einer Seelenerforschung, mit der ich mich vorher wochen-, wenn nicht gar monatelang gequält hatte.

Zur Wahl standen damals einfach nur Parteien, die ich nicht wählen wollte. Frau Merkel ist mir unsympathisch, die SPD hätte mich zu viel Geld gekostet, die Grünen sind für mich wie eine Ex-Geliebte, der man viele Jahre treu war, die aber mittlerweile zur hysterischen Katzenmutti mutiert ist, und die FDP, die bei mir immer rauskam, wenn ich den Wahl-O-Mat befragte, war im wirklichen Leben denoch völlig undenkbar – ich wollte nicht an einem Außenminister Westerwelle mitschuldig sein. Braune und Rote kamen sowieso nicht infrage.

Bis zuletzt hatte ich die Entscheidung zwischen mehreren kleineren Übeln abgewogen. Denn nicht zu wählen – das hatte vorher jahrzehntelang komplett außerhalb meiner Vorstellungskraft gelegen. Ich habe es anderen nicht verziehen, und ich hätte es mir selbst nicht verziehen. An jedem Wahltag habe ich meine Mutter angerufen und gefragt, ob sie denn auch schon gewählt habe. Und wenn meine Ehefrau Pläne für den Sonntagsausflug schmiedete, stellte ich sicher: „Wir müssen aber noch Zeit für die Wahl einplanen!“

Von alldem habe ich mich an jenem Sonntag losgerissen. Plötzlich und durchaus trotzig dachte ich mir: „Es herrscht hier doch schließlich keine Wahlpflicht mehr – wie noch vor 25 Jahren (ich wohne im Osten Berlins). Demokratie bedeutet eben auch, dass man das Recht hat, sich nicht entscheiden zu müssen.“

Ich fühlte mich schuldig, als ich umkehrte

Dann ging ich nach Hause und fühlte mich, wie sich ein streng muslimisch erzogenes Mädchen fühlen mag, das sein Kopftuch abgelegt hat, oder ein Zeuge Jehovas, der sich vor seinen Eltern als schwul geoutet hat – befreit, aber auch ein bisschen schuldig. Den Abend verbrachte ich vor dem Fernseher auf einer Wahlparty zwischen lauter entsetzten Linksliberalen und versuchte zu verheimlichen, dass mir das Ergebnis eigentlich ziemlich egal war.

Nicht wählen zu gehen ist heute das, was früher nicht zur Kirche gehen war. Man setzt damit, wenn man den erregten Kommentaren nach der nicht sehr gut besuchten Landtagswahl in Sachsen glauben darf, nicht nur das eigene Heil, sondern das der ganzen Gemeinschaft aufs Spiel. Und so wie jeder geschwänzte Gottesdienst dem Satan die Tür einen Spaltbreit mehr öffnete, so wird jetzt jede verweigerte Stimme zu einer Patrone im Gewehrlauf der Antidemokraten. Der Ton, in dem Medien und Politik über den Nichtwähler reden, hat etwas Priesterliches: Man ist enttäuscht über den Verstockten, aber gesteht ihm doch als mildernden Umstand zu, dass er vielleicht nur aus Idiotie so handelt.

In diesen Predigerton verfallen sogar Menschen, die normalerweise geistig etwas höher fliegen. Der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier hat gesagt, Nichtwähler handelten „nicht viel weniger unmoralisch“ als Steuerhinterzieher. Ihm war vielleicht nicht klar, dass er die Stimmabgabe damit gleichsetzt mit einer anderen vom Staat geforderten Abgabe, die die Menschen ärmer macht – während das Wahlrecht doch als Bereicherung empfunden werden sollte.

Der Sound ist so alarmlaut, weil Nichtwählen gemeinhin als Politikverdrossenheit interpretiert wird. Dabei ist das grundfalsch. Die Wahlergebnisse von Linkspartei, AfD und NPD in Sachsen zeigen doch eher, dass Antidemokraten und Systemfeinde stramm zur Wahl gegangen sind. Sie wissen: Der beste Weg, es „denen“ zu zeigen, ist eine verstörende Stimmabgabe.

Nicht verdrossen, sondern desinteressiert einverstanden

Nichtwählen kann dagegen durchaus ein desinteressiertes Einverstandensein ausdrücken: Man hat gerade nicht so wahnsinnig viel zu meckern an seinem Land, und die zur Wahl stehenden Regierungsalternativen lösen zwar keine Begeisterung, aber auch keinen Grusel aus. Wer will dem Wähler seine milde Ignoranz eigentlich übel nehmen angesichts der immer größer werdenden Ununterscheidbarkeit der beiden Volksparteien? Ihm kann doch egal sein, wer den Sozialstaat und die Bürokratie ein kleines bisschen mehr oder weniger ausbaut.

1998, als es eine echte Richtungswahl zwischen Kohl und Rot-Grün gab, und 2002, als über den Irakkrieg gestritten wurde, gab es nicht umsonst die höchsten Wahlbeteiligungen in den letzten Jahrzehnten. Und ich schwöre: Wenn 2009 auch nur die geringste Chance bestanden hätte, dass ein neuer Hitler oder Honecker Bundeskanzler hätte werden können, hätte ich selbstverständlich gewählt.

Das Nichtwählen muss also keineswegs die grundsätzliche Ablehnung der Demokratie ausdrücken. Wenn ich in einem Supermarkt einmal nichts kaufe, weil mir gerade keines der Angebote zusagt, heißt das ja auch nicht, dass ich deswegen gleich das ganze System der Warenwirtschaft abschaffen möchte.

Es ist zwar darauf hingewiesen worden, dass sich das Angebot im Parteiensupermarkt in den vergangenen Jahren stark vergrößert hat, weil heute viel mehr die Fünfprozenthürde überwinden als im alten Drei-bis-vier-Parteien-System. Aber die neu Hinzugekommenen sind doch allesamt ziemliche Spinnervereine, und meine Politikverdrossenheit ist eben gerade nicht so groß, dass ich irgendwelchen Irren meine Stimme in den Rachen werfe, nur damit „die“ im Berliner Regierungsviertel einen Schreck kriegen.

Ich kaufe auch manchmal nichts im Supermarkt

Für mich ist einfach nichts wirklich Verlockendes im Angebot. Ich habe mich beispielsweise jahrelang nach einer zurechnungsfähigen rechten Partei gesehnt, die sich nicht scheut, Recht und Ordnung und nationales Interesse in den Mittelpunkt zu stellen, aber eben nicht die Dummheiten und Widerwärtigkeiten der alten Rechten wiederholt: Antisemitismus, Ausländerhass und die Vergötzung des größten Volksschädlings der deutschen Geschichte, Adolf Hitler.

Nun gibt es zwar die AfD, aber neben der zwielichtigen Haltung vieler Parteimitglieder im Verhältnis zu Juden und Migranten haben ich und diese Neu-Rechten offenbar auch sonst eine völlig unterschiedliche Definition von „nationalem Interesse“. Für mich ist Deutschland umso besser dran, je weiter weg russische Soldaten von seiner Grenze stehen und je mehr Völker zwischen uns und Russland wohnen, die ihre nationale Selbstbehauptung gegen Putin energisch verteidigen.

Dieser kleine Ausflug in meine private Ideologie soll unterstreichen, dass ich mir auch das Nichtwählen sehr genau überlege. 2013 habe ich dann ja meine Stimme wieder abgegeben. Und ich war froh darüber. Denn natürlich lebe auch ich lieber in einem Land, in dem die Leute am Sonntag der Entscheidung massenhaft in die Wahllokale gehen, so wie ich als Christ lieber in einer vollen Kirche sitze als in einer leeren. Aber die permanente Hysterisierung und Verdächtigung der Nichtwähler könnte doch bitte mal aufhören. Sie macht mich sonst noch politikverdrossen.

Quelle. http://www.welt.de/debatte/kommentare/article132218953/Ich-bin-Nichtwaehler-aber-kein-Idiot.html

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Gruß an die Nichtwähler, die sich mit der PO-litischen Situation der BRiD auseinandergesetzt haben und  denen besserer Argumente einfallen als Matthias Heine,  dessen „Nicht- wählen- wollen- Erläuterung“ eher postpupertär und sehr fundamentlos auf den Leser wirken.

Oder ist mal wieder, wie anzunehmen, nichts anderes als die Antirussische- Stimmung anzuheizen- und alles was auch nur im Ansatz „für Deutsche“,“für Deutschland“ ist, in die altbekannte und gern benannte „rechte NAZI- Ecke“ zu drängen??

Liebe Redakteure, schwingt andere Keulen- und falls euch wie es offensichtlich der Fall ist, die vernünftigen Argumente ausgehen:

Macht euch besser nicht den Leser und das Volk zum Gegner!!

TA KI