Zugespielte Dokumente zeigen das Leiden der von Australien auf den Pazifikinseln Nauru und Manus internierten Flüchtlinge
Vergewaltigungen, sexuelle Nötigung, Selbstverletzung bis zum versuchten Suizid, Kindesmisshandlungen – die Liste ist lang. Immer wieder sind Fälle dieser Art aus dem Internierungslager für Flüchtlinge auf Nauru publik geworden. Doch erst seit wenigen Tagen ist das ganze Ausmaß des Leidens bekannt: Dem australischen Ableger der britischen Zeitung The Guardian sind Dokumente zugespielt worden, in denen sich 2.216 registrierte »Vorfälle« aus mehr als zwei Jahren aufgelistet finden. Der Guardian hat nun die »Nauru Files« in einer interaktiven Datenbank aufbereitet.
Die Sammlung beginnt im Mai 2013 mit zunächst einzelnen Vorkommnissen, deren Zahl sich noch im gleichen Jahr auf mehr als 30 monatlich steigerte. Ab 2014 wurden bis zu 200 Vorfälle pro Monat verzeichnet. Eine deutliche Zunahme ist zudem bei der Intensität der Ereignisse zu registrieren: Immer häufiger gibt es Einträge von Übergriffen des Wachpersonals oder von Lagerinsassen, darunter auch Kinder, die Selbsttötungsgedanken äußern. Ein Suizid wurde im April 2014 im Beisein der Person, die der Zeitung das Material zugespielt hat, nur knapp verhindert. Auch ist die Rede von einem einheimischen Mann, der eine junge Flüchtlingsfrau wiederholt verbal sexuell belästigte. Eine andere Frau berichtet, wie sie darum gebeten habe, statt zwei vier Minuten lang duschen zu dürfen. Das angesprochene Mitglied der Wachmannschaft erklärte sich dazu bereit, wenn sie ihm ermöglichte, anderen heimlich beim Duschen zuschauen zu können.
Etwa die Hälfte der aufgezeichneten Fälle betreffen Kinder. Für sie kann das Lager zur Hölle werden. »Ich will den Tod«, kritzelte ein Mädchen in sein Schulheft. Wiederholt ist von sexuellen Übergriffen des Wachpersonals die Rede. Die Zustände im Lager führen unter den Flüchtlinge zu Aggressivität, schon bei Kleinigkeiten kommt es zu Konflikten, besonders Kinder leiden darunter.
Für Schlagzeiten sorgte im April 2016 die versuchte Selbstverbrennung eines jungen Iraners. Der 23jährige hatte sich vor den Augen eines auf Visite befindlichen Teams des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR angezündet. Zwar gab es immer wieder solche Vorkommnisse, die sich seitens der australischen Regierung nicht unter den Teppich kehren ließen. Da aber weder Journalisten noch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) die Anlage betreten dürfen, gelangen Informationen nur schwer nach draußen und lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Dass vieles nicht in Ordnung ist, zeigte der bereits im März 2015 veröffentlichte Philip-Moss-Report. Auf 86 Seiten bietet er eine schockierende Sammlung von Berichten unter anderem über sexuelle Übergriffe. Die Untersuchung hatte der damalige australische Einwanderungsminister Scott Morrison auf öffentlichen Druck hin im Oktober 2014 veranlasst. Sein Nachfolger Peter Dutton und der damalige Premierminister Tony Abbott sprachen indes weiter verharmlosend von »Dingen, die durchaus mal passieren«. Immer wieder unterstellten konservative Spitzenpolitiker, dass Flüchtlinge Selbstverletzungen und Suizide »als Druckmittel einsetzen« würden.
Mehrere Mitarbeiter der Organisation »Save the Children«, der einzigen NGO, die in dem Lager präsent war, wurden aus der Einrichtung verbannt, weil sie angeblich »die Insassen aufgestachelt« hätten. Ein haltloser Vorwurf, wie auch der Moss-Report feststellt.
Mit Stand Juli 2016 befinden sich 442 Flüchtlinge in dem Lager auf Nauru, darunter 49 Kinder. Obwohl »Save the Children« mehrfach gewarnt hatte, dass die dortige Anlage gerade für Kleinkinder ein ungeeigneter Ort sei.
Bei der australischen Asylbehörde stoßen solche Mahnungen auf taube Ohren. Sogar Babys werden im Lager geboren. Dass die winzige Inselnation Nauru weder ein ordentliches Krankenhaus noch forensische Einrichtungen besitzt, um angezeigte Fälle von sexuellen Übergriffen genau zu untersuchen, verschärft die Lage zusätzlich. Selbst im Notfall dürfen die Lagerinsassen nicht aufs australische Festland gebracht werden, selbst jenen Flüchtlingen, deren Asylanträge positiv beschieden wurden und die das Lager verlassen dürfen, bleibt der Weg dorthin versagt.
Kritik äußerten vor wenigen Tagen auch die global agierenden Gruppen Human Rights Watch (HRW) und Amnesty International (AI) in einer gemeinsamen Erklärung. Anna Neistat, die für AI eine entsprechende Untersuchung leitete, erklärte, die Internierung von Schutzsuchenden in dieser Form durch Australien sei »extrem grausam«.
Quelle: http://www.jungewelt.de/2016/08-16/012.php
Gruß an die, die wissen, daß es noch „grausamer“ werden könnte
TA KI