Die Welt: Herr Ministerpräsident, Wolfgang Kubicki von der FDP glaubt: Wenn Angela Merkel so weitermacht, wird sie bis 2017 nicht durchhalten. Das würden im Moment auch viele CDU-Mitglieder unterschreiben, oder?
Volker Bouffier: Es zeigt nur, dass Wolfgang Kubicki Frau Merkel unterschätzt. Angela Merkel weiß, was sie tut. Sie hat alle Erfahrung dieser Erde und hat auch die Kraft, durchzuhalten.
Herr Kubicki schätzt vielleicht Frau Merkel falsch ein, aber nicht die CDU.
Mitnichten. Die Union hat noch immer den stärksten Wählerzuspruch von allen Parteien in Deutschland. Natürlich wird auch bei uns darüber gestritten, wie es weitergeht und was richtig ist. Diese Diskussion darf man aber nicht mit einer Absetzbewegung von der Kanzlerin verwechseln. Die CDU-Mitglieder möchten im Grunde beides: Sie möchten sich klar zur Kanzlerin bekennen – und sie möchten wissen, wie es weitergeht.
Es wurde in der Unionsfraktion bereits von „Regierungsabwahl“ gesprochen. Das klingt nicht bloß nach engagierter Diskussion und business as usual.
Die Situation ist ja auch außergewöhnlich. Viele haben noch nicht verstanden, um was es wirklich geht. Sie haben die Flüchtlinge bisher vor allem im Fernsehen gesehen. Aber jetzt kommen sie wirklich, und das fordert uns mehr als alles andere. Mein Wahlkreis ist Gießen. Das ist der Ort mit der größten Einzeleinrichtung in Deutschland mit 6000 Flüchtlingen. Gießen ist immerhin eine Großstadt. Trotzdem ist das eine Riesenherausforderung. Aber es gibt auch viel kleinere Gemeinden mit wenigen Tausend Menschen, in die nun 1000 Flüchtlinge kommen, weil dort Kasernen leer stehen. Die Lage zwingt uns zu unangenehmen Schritten.
Gleichwohl entlädt sich über der Kanzlerin der ganze parteiinterne Frust. Das ist neu.
So ganz neu ist das nicht. Es gab schon solche Situationen, an deren Beginn ungläubiges Staunen stand, etwa bei der Energiewende. Das war ein echter Stresstest für die Partei. Die Flüchtlingskrise ist die größte Herausforderung, vor der Deutschland je stand. Größer als die Wiedervereinigung. Damals trafen Menschen aufeinander, die alle Deutsch sprachen und einen ähnlichen kulturellen Hintergrund hatten. Das ist heute anders. Ich bin sicher, die Kanzlerin wird zusammen mit der Partei auch diese Situation meistern.
Wie lautet in dieser Lage ihre Botschaft an die Deutschen und an Ihre Partei?
Scheitern ist keine Alternative. Also müssen wir uns überlegen, wie wir die Lage meistern. Dafür gibt es nicht die eine Lösung. Die Verabschiedung der Asylrechtsgesetze ist ein wichtiger Anfang. Er hilft den Kommunen und Ländern, dass sich der Bund nun dauerhaft an den Kosten beteiligt. Er hilft, dass nun weitere sichere Herkunftsstaaten benannt wurden. Das macht die Verfahren schneller. Er hilft, dass Anreize wegfallen, weil nun Sachleistungen im Vordergrund stehen. Das alleine aber reicht nicht.
Was fehlt?
Wir brauchen Aufnahmezentren an den Küsten Italiens, Griechenlands, in Bulgarien – und es gehört eine Vereinbarung mit der Türkei dazu. An allem wird gearbeitet. Wir neigen in CDU und CSU im Moment nur dazu, das Erreichte gleich zur Seite zu schieben, kleinzureden oder gar nicht darüber zu reden. Das ist falsch. Die Maßnahmen werden Wirkung entfalten.
Trotzdem scheint die Stimmung in der Bevölkerung zu kippen.
Die Herausforderung müssen wir mit Zuversicht, aber ohne Illusionen angehen. Die Menschen wollen nach wie vor helfen. Es muss aber eine klare Antwort geben, wie es weitergehen soll. Maßnahmen zur Drosselung der Zahl der Flüchtlinge sind unverzichtbar. Die, die hierbleiben, müssen gut integriert werden. Wer in unser Land kommt, muss nach den Werten und Normen dieses Landes leben. Da dürfen wir keinen Rabatt geben. Wir werden kein islamisches Land. Wir bekommen keine Verhältnisse wie in den arabischen Staaten.
Innenminister Thomas de Maizière sieht in dem Anschlag auf die Kölner-Oberbürgermeister-Kandidatin Henriette Reker einen Beleg für die zunehmende Radikalisierung der Flüchtlingsdebatte. Welche Konsequenzen müssen aus solchen Taten erfolgen?
Das war eine schreckliche Tat, und ich wünsche allen Verletzten gute Besserung! Trotz dieser schrecklichen Tat dürfen wir nicht in Panik und Angst verfallen.
Deutschland dürfe sich nicht verändern, hat Horst Seehofer in seiner jüngsten Regierungserklärung gesagt. Ist das eine der Illusion?
Ich verstehe Horst Seehofer so, dass er damit unsere Werte- und Verfassungsordnung meint. Dass sich gerade die Bevölkerung und ihre Zusammensetzung verändern, kann niemand ernsthaft bestreiten. In dieser Hinsicht wird sich Deutschland natürlich verändern. An unseren Werten und Normen darf aber nicht gerüttelt werden. Das müssen wir jedem Flüchtling so früh wie möglich deutlich machen, welche Regeln bei uns gelten.
Manche haben dennoch Angst. Am Montag werden wieder Tausende bei Pegida in Dresden mitmarschieren. Ist das ein Kollateralschaden der Flüchtlingspolitik, mit dem man leben muss?
Nein. Pegida ist ein Ausdruck der Unzufriedenheit, den man nicht ignorieren kann. Diese Bewegung äußert aber ihren Protest in einer Weise, der niemandem nützt. Wer nur den Hass aufstachelt, hat ja noch keine Lösung. Die Straße in Schwung zu bringen ist leicht.
Sollte die CDU versuchen, Pegida-Anhänger an sich zu binden?
Es ist die Aufgabe aller demokratischen Parteien, möglichst viele Bürger von sich zu überzeugen. Wir dürfen uns nicht damit zufriedengeben, dass bestimmte Gruppen einfach verloren sind. Wir dürfen ihnen dennoch nicht erzählen, was sie gerne hören möchten. Wir müssen für unsere Überzeugung streiten.
Zählen Sie die AfD zur Riege der demokratischen Parteien?
Nein, die AfD gehört nicht dazu. Es bleibt bei der Linie, dass wir eine Zusammenarbeit mit dieser Partei ablehnen.
Gibt es eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen?
Unser Wollen ist unbegrenzt, aber unser Können ist begrenzt. Es gibt deshalb eine Obergrenze dessen, was wir leisten können. Das lässt sich aber nicht an einer fiktiven Zahl festmachen. Sigmar Gabriel hat vor Kurzem erklärt, 500.000 jedes Jahr wären kein Problem. Ich halte die Nennung von Zahlen für töricht. Nicht aus politischen Gründen. Zahlen sind deshalb Unsinn, weil es darauf ankommt, wer ins Land kommt, welchen Hintergrund er oder sie hat. Klar ist nur, wir können nicht unbegrenzt aufnehmen; die Zahlen müssen weniger werden.
Den Vorzeigeflüchtling werden Sie sich nicht aussuchen können – allein weil Österreich eine Art Flüchtlingstourismus nach Deutschland organisiert hat: mit Bustransfer, mit Schildern, mit Proviant und einem kurzen Fußmarsch über die deutsche Grenze.
So kann das in der Tat nicht weitergehen. Es muss möglich sein, dass wir ankommende Flüchtlinge in Länder wie Österreich zurückschicken. Wir haben in Europa Regeln, und die Länder müssen sich anstrengen, ihren Verpflichtungen nachzukommen.
An den deutschen Grenzen wollen CDU und CSU Transitzonen errichten. Was stellen Sie sich da genau vor?
Das kommt auf die praktische Ausgestaltung an. Alles, was hilft, den Zustrom zu verringern und die Verfahren zu beschleunigen, muss man sich anschauen. Wir brauchen also Maßnahmen, die verhindern, dass die Menschen ungehindert über die grüne Grenze ins Land kommen.
Und wie?
Menschen, die über die grüne Grenze gekommen sind, sollten in die Transitbereiche zurückgebracht werden. Das wird den Anreiz verringern, überhaupt einzureisen. Jeder muss jederzeit damit rechnen müssen, in die Transitzone gebracht zu werden. Das wird sich herumsprechen, gerade unter den Angehörigen jener Staaten, die kein Bleiberecht haben.
Steht dann an der grünen Grenze alle 50 Meter ein Polizist?
Wir leben im Zeitalter von Handys und Internet. Wir wissen genau, wie die Routen sind, die die Flüchtlinge nehmen. Darauf kann sich die Polizei einstellen. Es kann gelingen, Schwerpunkte zu setzen. Dass wir keine hundertprozentige Grenzsicherung erschaffen können, darf uns doch nicht daran hindern, generell Grenzsicherung zu betreiben.
Die CSU fordert, den Familiennachzug für Bürgerkriegsflüchtlinge zu begrenzen. Gehen Sie da mit?
Den Familiennachzug müssen wir in angemessener Weise regeln. Es kann nicht richtig sein, dass der Nachzug völlig ungeplant vonstatten geht. Die Familienmitglieder, die in einer sicheren Lebenssituation sind, also etwa in einem Lager in der Türkei, sollten frühestens ein Jahr nach der Anerkennung eines Asylbewerbers nachkommen. Anders verhält es sich mit Familienmitgliedern, die verfolgt werden. Die Situation wird für uns nicht leichter, wenn wir Familien nun in großer Zahl ins Land holen. Das muss auf Jahre gestreckt werden. Zudem sollten wir uns auf die Kernfamilie konzentrieren, also Ehepartner und Kinder.
Quelle: http://www.n24.de/n24/Nachrichten/Politik/d/7475128/-wir-werden-kein-islamisches-land-.html
Gruß an die Schönredner
TA KI